Der Bayerische Streuobstpakt – Textfassung
1. Präambel
Der Streuobstanbau ist in Bayern eine über Jahrhunderte entstandene Form des Obstanbaus mit höchster Bedeutung für die Kulturlandschaft und Biodiversität. Er wurde im April 2021 von der UNESCO als Immaterielles Kulturerbe in Deutschland aufgenommen. Spätestens seit dem erfolgreichen Volksbegehren "Artenvielfalt – Rettet die Bienen" ist das Thema Streuobst und seine Bedeutung auch bei der Bevölkerung angekommen.
Am 23. April 2021 fand auf Initiative der Bayerischen Staatskanzlei ein "Runder Tisch Streuobst" unter der Leitung von Landtagspräsident a. D. Alois Glück und mit Teilnahme der Staatsregierung und wichtiger gesellschaftlicher Gruppen statt. Grundsätzliche Einigkeit konnte bei allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern über das wesentliche Ziel des Runden Tisches erzielt werden: Der derzeitige Streuobstbestand in Bayern soll erhalten sowie darüber hinaus zusätzlich eine Million Streuobstbäume neu gepflanzt werden.
Um dieses Ziel bis zum Jahr 2035 zu erreichen, haben Umwelt- und Landwirtschaftsministerium gemeinsam mit 30 Expertinnen und Experten ein Maßnahmenkonzept einschließlich Budget- und Personalbedarf erarbeitet, die "Ergebnisse der Arbeitsgruppe "Streuobst", Stand 06.07.2021", das Grundlage des Bayerischen Streuobstpaktes ist. Die Bayerische Staatsregierung hat die Umsetzung dieses Maßnahmenkonzepts am 27. Juli 2021 beschlossen.
2. Kulturhistorische und naturschutzfachliche Bedeutung von Streuobst
Streuobstbestände gehören mit ca. 5.000 Tier- und Pflanzenarten zu den artenreichsten Lebensräumen in Mitteleuropa. Mit vielen seltenen und gefährdeten Arten sind sie Hotspots der Biodiversität.
Mit über 2.000 Obstsorten hat der Streuobstanbau noch einen einzigartigen Schatz an genetischer, geschmacklicher und gesunder Vielfalt, den es zu erhalten gilt. Streuobstbestände bereichern das Landschaftsbild und sind wichtig für die Biodiversität sowie für das Kleinklima. Mit ihrer Attraktivität unterstützen sie die Naherholung und den naturnahen Tourismus. Daneben leistet der Streuobstanbau auch für die Eigenversorgung mit gesundem Obst und durch die Herstellung vielfältiger regionaler Streuobstprodukte bis heute einen wichtigen Beitrag zu gesunder, regionaler Ernährung, der nicht zu unterschätzen ist.
Neben einer hohen Eigenverwertungsquote durch die Bewirtschafter verarbeiten in Bayern ca. 400 Keltereien und rund 4.500 Brenner im Durchschnitt etwa 50.000 Tonnen Streuobst pro Jahr zu Säften, Edelbränden und weiteren Produkten. Der Produktumsatz beläuft sich dabei auf über 50 Millionen Euro. Das wirtschaftliche Gesamtpotential liegt um ein Mehrfaches darüber.
Zudem hat das Interesse an der Neuanlage und Bewirtschaftung von Streuobst in den letzten 20 Jahren deutlich zugenommen – je nach Bewirtschaftungsziel als traditionelle Selbstversorger-Streuobstwiesen oder mit stärkerem wirtschaftlichem Interesse als extensiver Landschaftsobstbau, im Zuge der Klimadiskussion auch als Agroforstsystem – jeweils mit den verschiedensten Unterkulturen.
3. Streuobstbestände in Bayern
Der Streuobstanbau in Bayern ist eine über Jahrhunderte entstandene Form des Obstanbaus auf stark wachsenden, hochstämmigen Bäumen in weitem Pflanzabstand mit einer Unternutzung als Wiese, Weide, Garten oder Acker. In der letzten landesweiten Obstbaumzählung im Jahr 1965 wurden 20 Millionen Streuobstbäume erfasst. Seitdem gab es keine landesweite Erfassung mehr. Der aktuelle Streuobstbestand in Bayern wird auf unter 6 Millionen Streuobstbäume geschätzt. Das entspricht einer Fläche von ca. 70.000 ha. Die Streuobstbestände sind akut gefährdet. Seit 1965 sind 70 % der Streuobstbestände in Bayern verschwunden. Es wird von einem jährlichen Verlust von 100.000 Bäumen ausgegangen.
Waren früher – wo es das Klima zuließ – Streuobstbestände in ganz Bayern anzutreffen, wenn auch nicht überall in der freien Flur, so doch zumindest an den Siedlungsrändern, weisen heute ganze Landstriche in Südbayern keine nennenswerten Bestände mehr auf. Derzeitige Schwerpunkte des Streuobstanbaus liegen weitgehend in Franken. Dagegen sind in Ober- und Niederbayern größere Streuobstbestände nur mehr in den wärmebegünstigten Beckenlagen oder in Randlagen der Mittelgebirge zu finden.
Auch wenn in Franken vom Streuobstanbau geprägte Kulturlandschaft vielerorts noch das Landschaftsbild mit gestaltet, darf nicht übersehen werden, dass viele Bestände stark überaltert sind und über kurz oder lang verschwinden, wenn die Verjüngung mittels Neupflanzungen nicht rasch eingeleitet wird. In einigen Gebieten fehlt zudem eine Unternutzung der Bestände, d. h. die gesamten Flächen verbrachen.
4. Maßnahmen
Über den Bayerischen Streuobstpakt werden alle Maßnahmen der Staatsregierung zum Erhalt und zur Neuanlage von Streuobstwiesen gebündelt und mit den Aktivitäten der relevanten gesellschaftlichen Gruppen verzahnt. Nur mit dieser gemeinsamen Kraftanstrengung ist die Trendumkehr beim Erhalt und der Neuschaffung der Streuobstwiesen möglich. Folgende Maßnahmenbereiche werden dabei zu einem Gesamtkonzept verzahnt:
Erfassung und Monitoring
Bayernweite Fernerkundung
Aktualisierung Biotopkartierung
Förderung des Streuobstanbaus
Flächenförderung (KULAP und VNP)
Förderung, Pflanzung und Pflege (Erzeugung Pflanzmaterial, Schwerpunktgebiete, Baumpflege, Ersatz- und Neupflanzung)
Investive Förderung (Maschinen, Anlagen und Gebäude)
Vermarktung und Marketing
Forschung und Entwicklung
Beratung und Öffentlichkeitsarbeit
5. Organisation
Der Bayerische Streuobstpakt ruht auf vielen Schultern engagierter Akteure und ist langfristig angelegt. Die Komplexität der Vorhaben, der sukzessive Kapazitätsaufbau und nicht zuletzt die hohe Mittelbindung erfordern eine kontinuierliche Projektsteuerung unter Mitwirkung der Hauptakteure. Es wird deshalb die Einrichtung einer Steuergruppe unter gemeinsamer Leitung von Umwelt- und Landwirtschaftsministerium vereinbart, die sich mindestens jährlich mit den Unterzeichnern des Paktes trifft, um die Umsetzung der Ziele und Maßnahmen voranzubringen und mögliche Nachsteuerungen zu veranlassen. Die Geschäftsführung der Steuergruppe obliegt der Landesanstalt für Landwirtschaft. Der Pakt wird von der Staatsregierung mit den für die Streuobstwiesen engagierten Akteuren geschlossen.
Unterzeichner des Paktes
Ministerpräsident Dr. Markus Söder
Staatsministerin Michaela Kaniber
Staatsminister Dr. Florian Herrmann
Staatsminister Thorsten Glauber
Richard Mergner, 1. Vorsitzender
Dr. Norbert Schäffer, 1. Vorsitzender
Stefan Köhler, Bezirkspräsident Unterfranken
Markus Nagler, 1. Vorsitzender
Michael Kutter, Vorsitzender
Klaus Fackler, Stv. Landessprecher
Wolfram Vaitl, Präsident
Hubert Heigl, 1. Vorsitzender