(15. September 2022) München - Bayerns Landwirtschaftsministerin Michaela Kaniber hat im Vorfeld der Agrarministerkonferenz in Quedlinburg den Bund erneut aufgefordert, endlich die notwendigen Entscheidungen für eine Reihe von drängenden Themen zu treffen. „Die Bauern in Deutschland stehen vor riesigen Problemen und die Bundesregierung spielt auf Zeit“, so Kaniber. „Der Bund ist immer noch im Ankündigungsmodus. Unsere Nutztierhalter brauchen aber jetzt dringend eine Perspektive und Planungssicherheit. Ein klarer und verlässlicher Plan der Ampel, wie sie den Umbau der Nutztierhaltung zu mehr Tierwohl schaffen und begleiten will, ist weit und breit nicht zu erkennen“, sagte die Ministerin in München. Deutliche Worte richtete sie an Bundesminister Cem Özdemir: „Der vorgelegte Gesetzentwurf für eine Kennzeichnung im Schweinemastbereich ist schlichtweg unbrauchbar. Die Landwirte warten dringend auf ein tragfähiges Gesamtkonzept. Da geht es vor allem darum, wie die Bundesregierung das Mehr an Tierwohl finanziert und von bürokratischen Hemmnissen befreit.“ Vor allem die Schweinehalter würden vielfach keine Perspektive mehr sehen und reihenweise ihren Betrieb aufgeben. Gründe sind unter anderem die mangelnde Wirtschaftlichkeit, ständig steigende Anforderungen und Auflagen und die fehlende gesellschaftlichen Anerkennung. „Die Betriebe sind durch Corona-Pandemie, afrikanischer Schweinepest und Auswirkungen des Kriegs in der Ukraine massiv wirtschaftlich unter Druck. Gleichzeitig sollen sie aber immer höhere Umwelt- und Tierhaltungsstandards einhalten. Dazu muss der Bund Hilfe anbieten und eine Perspektive aufzeigen. Wir brauchen die Tierhalter, sie sind das Rückgrat unserer bäuerlichen Landwirtschaft, sie sichern die Versorgung der Bevölkerung mit hochwertigen Nahrungsmitteln. Ein weiterer Rückgang der Tierhaltung hätte massive ökonomische, ökologische und soziale Folgen“, warnte die Ministerin. Sie wies darauf hin, dass die Vorschläge des Kompetenznetzwerks Nutztierhaltung, der sogenannten Borchert-Kommission, längst auf dem Tisch liegen. „Die Bundesregierung ist bald ein Jahr im Amt, hat sich aber immer noch nicht auf die Einführung von langfristigen und verlässlichen Tierwohlprämien geeinigt. Dabei haben Bundestag, Bundesrat, Agrarministerkonferenz und auch die Zukunftskommission die Empfehlungen der Borchert-Kommission unterstützt“, so die Landwirtschaftsministerin. Kaniber forderte den Bund auch auf, „vor allem beim Bau- und Immissionsschutzrecht für Tierwohlställe endlich in die Gänge zu kommen. Viele junge Betriebsleiterinnen und Betriebsleiter stehen in den Startlöchern, sie wollen den gesellschaftlich gewollten Weg zu mehr Tierwohl und Ökolandbau gehen, aber es werden ihnen massive Steine in den Weg gelegt.“ Das gelte auch für die Kostenlawine, die zwischenzeitlich die landwirtschaftlichen Betriebe auch im Energiebereich erreicht hat. „Der Bund muss auch beim Agrardiesel endlich für die maximal zulässige Entlastung sorgen, schon allein um die Wettbewerbsverzerrung innerhalb der EU abzubauen“, sagte die Ministerin. Während in Deutschland die Steuerbelastung trotz Beihilfe im EU-Vergleich am dritthöchsten sei, wird in einigen Mitgliedstaaten überhaupt keine Steuer erhoben. Eine Kostendämpfung sei deshalb auch ein wichtiger Beitrag, der Preisentwicklungen von Lebensmitteln und der Inflation entgegenzuwirken. Die überwiegend kleinstrukturierte und mittelständisch geprägte Ernährungswirtschaft sei besonders von explodierenden Energiekosten, aber auch Lieferengpässen massiv betroffen. „Gerade das Lebensmittelhandwerk sichert die tägliche Versorgung vor der eigenen Haustür, ist verlässlicher Arbeitgeber im Ort und wichtiger Motor im regionalen Wirtschaftskreislauf“, so Kaniber. Um diese unverzichtbaren Leistungen auch weiterhin zu gewährleisten, seien sowohl finanzielle Entlastungen als auch Erleichterungen von den bürokratischen Pflichten dringend notwendig. Bei Bedarf müsse der Bund Ausnahmen zulassen, um Lieferketten und vor allem die Transportlogistik nicht zu gefährden. Die Unternehmen müssten zudem bei der Versorgung mit Gas als „geschützte Kunden“ gelten. Denn zur besonders energieintensiven Herstellung und Verarbeitung von Nahrungsmitteln sei Gas einfach unverzichtbar. Zur Stabilisierung der Märkte hält Ministerin Kaniber auch eine kurzfristig gesteigerte Verstromung von Biogas für einen kleinen, aber dennoch wichtigen Beitrag. Durch die forcierte saisonale Verschiebung der Biogasproduktion im Winter 2022/23 können zugleich wertvolle Erkenntnisse für die weitere Umstellung des Energiesystems auf erneuerbare Energien gewonnen werden. Akuten Handlungsbedarf sieht die bayerische Ministerin auch bei der Düngeverordnung und der Neuausweisung der roten Gebiete in Deutschland: „Der Bund hat im Bundesrat zugesagt, den Landwirten baldmöglichst eine verursachergerechte Befreiung von Verpflichtungen in roten Gebieten zu ermöglichen. Er muss jetzt schleunigst die Konzepte erarbeiten und bis Ende November den Ländern über die Ergebnisse berichten“, forderte die Ministerin. Konkrete Ansatzpunkte für Ausnahmen sieht sie bei Betrieben mit niedrigen Stickstoffüberschüssen. Das könne beispielsweise über einen maximal zulässigen Bilanzwert für Stickstoff in der Stoffstrombilanzverordnung nachgewiesen werden. Denkbar wären auch Befreiungen für Flächen, die im Rahmen von freiwilligen Kooperationen besonders grundwasserschonend bewirtschaftet werden. Entsprechende Ausnahmemöglichkeit würde Kooperationen zwischen Wasserversorgern und Landwirten zusätzlich aufwerten und die Möglichkeit für regional optimierte und bewährte Maßnahmen zum Gewässerschutz eröffnen. „Wir werden Bundesminister Cem Özdemir nicht aus der Verantwortung entlassen, sondern auf eine schnelle Lösung drängen“, so die Bayerische Agrarministerin. Dazu zählt auch die Ankündigung des Bundesministers, dass mit der Umsetzung dieser Verordnung die EU das Vertragsverletzungsverfahren einstellen werde. Rückendeckung vom Bund brauchen die Bauern nach Kanibers Worten dringend beim Thema Pflanzenschutz und bei den geplanten Verboten durch die EU-Kommission. Der Vorschlag der Kommission stehe im krassen Widerspruch zu den EU-Zielen einer sicheren, nachhaltigen und erschwinglichen Erzeugung von Lebensmitteln. „Ein komplettes Verbot von Pflanzenschutz in sogenannten empfindlichen Gebieten würde zu einem Rückgang der Produktion, einer völlig überzogenen Bürokratie und weiteren Belastungen führen, die unsere Lebensmittel weiter verteuern“, warnte die Ministerin. Deutschland habe zudem im europäischen Vergleich überproportional viele Schutzgebiete angemeldet. „Wir haben in Deutschland mühsam ausgehandelte Konzepte erarbeitet und umgesetzt. Diese Anstrengungen und der Fortschritt zur Reduzierung der Pflanzenschutzmittel muss auf jeden Fall berücksichtigt werden. Weitere Belastungen für unsere Landwirte können und werden wir auf keinen Fall hinnehmen“, so Ministerin Kaniber.